„Camilliani oggi“ - „Kamillianer heute“
Die Begleitung von Aidskranken |
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Das Interesse der Kirche und die Aufmerksamkeit für neue soziale Notlagen haben sich heute besonders auf die Aids-Seuche konzentriert. Als Produkt von verschiedenen Mutationen ist zu Beginn der Achtzigerjahre ein neuer Virus aufgetaucht und hat sich rasch ausgebreitet. Die ersten Erkrankungen gab es in Amerika und in Europa. Dabei handelte es sich um Menschen, deren risikoreiches Verhalten die Ausbreitung des Virus begünstigte. Zu den risikoreichen Verhaltensweisen gehören bei Drogenabhängigen die Verwendung ein und derselben Injektionsnadel sowie sexuelle Beziehungen, die den Austausch von infizierten Körperflüssigkeiten (insbesondere Blut und Sperma) von einem Menschen zu anderen mit sich brachten. Das infizierte Blut greift das Immunsystem an und führt zu so genannten opportunistischen Infektionen und auch einigen Krebsarten.
Der katholische Krankenpflegeorden der Kamillianer wurde 1591 von dem Italiener Kamillus von Lellis (1550–1614) gegründet. „Heilt die Kranken und verkündet das Evangelium“ (Lukasevangelium, Kapitel 10): An den Armen und Kranken seiner Zeit wollte Kamillus diesen Auftrag Jesu aus dem Lukasevangelium erfüllen. Eine zeitlose Aufgabe: Arme und Kranke wird es immer und überall geben.
Bereits in der ersten Phase von Aids waren die Kamillianer auf diesem Gebiet aktiv. So bei der Pflege der Kranken, die zunächst als Kranke in der Endphase betrachtet wurden. Ferner in der „intellektuellen Form der Nächstenliebe“, d. h., Beiträge in verschiedenen Zeitschriften haben sich mit ihrer spirituellen und pastoralen Begleitung befasst.
In Ländern, wo eine Behandlung möglich ist, werden die Erkrankten zu chronischen Patienten. Doch im Großteil der Fälle, und zwar in den armen Ländern, sterben sie weiterhin und lassen ihre Kinder als Waisen zurück, die zum Teil auch infiziert sind. Außerdem führt die Schwierigkeit im Zugang zu den Mitteln der Prävention (Information, Bildung) dazu, dass ein reziprokes Verhältnis entsteht: Die Armut verbindet sich mit der Krankheit und die Krankheit wird wiederum zur Anklage von bestehenden Ungerechtigkeiten in der Welt.
Die Krankheit Aids hat viele Facetten: das Wissen um die Gefährdung menschlichen Lebens und die Begrenztheit der medizinischen Möglichkeiten; das Recht des Kranken auf Wahrheit; die Ansteckungsgefahr; die Wege der Verbreitung von Aids, die mit der Weitergabe des Lebens verbunden sind, und das große Problem des Drogenkonsums auf intravenösem Weg; die Verbindung mit mythischen Vorstellungen (Zusammenhang von Eros und Thanatos im Zusammenhang mit der Erfahrung der Krankheit); die Verwundbarkeit der Person vor und nach der Ansteckung; das Leben der betroffenen Menschen usw.
Für die christliche Gemeinschaft ist Aids ein Appell, in der aktuellen Notlage Gott präsent zu machen, nämlich Liebe zu schenken und den davon direkt Betroffenen einen wirksamen und freundschaftlichen Dienst zu leisten.
Geht man von theologischen Überlegungen aus und stellt sich die Einstellung der Gesellschaft gegenüber den Aidskranken vor Augen, genügt es freilich nicht, im Kranken die Gegenwart Christi selbst zu sehen (Matthäusevangelium 25,31-46). Liest man das Gleichnis vom barmherzigen Samariter - geradezu eine Leitlinie für jeden pastoralen Dienst -, ist es wahrscheinlich, dass Christus heute als zentrale Gestalt einen Aidskranken genommen hätte. Der Aidskranke wäre aber dann nicht etwa der, der selber Hilfe braucht, sondern vielmehr der barmherzige Samariter. Erinnern wir uns daran, dass Jesus in diesem Gleichnis nicht nur zeigt, welches Verhalten gegenüber dem Kranken an den Tag gelegt werden soll. Er verstört uns, weil er ausgerechnet einen Samariter als Vorbild hinstellt. So zeigt er, dass man andere Menschen besser nach ihrem Verhalten gegenüber dem Nächsten beurteilt - im Gegensatz zu dem, der auf der Basis seiner Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen andere Menschen mit großer Leichtigkeit verurteilt. Die Samariter damals wurden in dieselbe Kategorie von Menschen eingereiht wie heute die Aidskranken, vor allem dort, wo die moralischen Vorurteile noch nicht überwunden sind.
In der ersten „Dekade“ von Aids konzentrierte sich die Reflexion vor allem auf die Probleme, die mit der Frage der Freiheit verbunden sind. In der Folgezeit sah man die künftige moralische Herausforderung vor allem in der Frage von Gerechtigkeit und Solidarität. Aids ist nämlich eine Krankheit der Armen, von Menschen, die in der öffentlichen Meinung keine Stimme haben, und vor allem bei denen, die durch die Kontrolle des Marktes und der Massenkommunikationsmittel die Macht haben und an ihr festhalten.
![]() Ein fröhliches Mädchen in Bangalore (Indien) |
![]() Eine „Tochter des heiligen Kamillus“ pflegt in Snehadaan (Indien) einen Aidskranken. |
![]() Ho Chi Minh City, Vietnam: Pater Paul kümmert sich mit Aufmerksamkeit um ein HIV-krankes Kind. |
![]() In Madagaskar kommt zur Sorge um die Leprakranken immer mehr die Sorge um aidskranke Menschen hinzu. Im Bild die Krankenschwester und Laienmissionarin Elisabeth Caruso. |
Fünf Schlüssel bei der Begleitung von Aidskranken
1. Der erste Schlüssel meint das Aufzeigen von Ungerechtigkeit. Gemeinsam müssen wir gegen Ungerechtigkeit ankämpfen, auch aus dem Wissen heraus, dass die Faktoren, die ein risikoreiches Verhalten begünstigen, sehr komplex sind und oft die individuelle Möglichkeit des einzelnen Willens und der Kontrolle überfordern. Aids ist ein deutliches Signal dafür, wer die ärmsten Menschen sind.
2. Der Schlüssel der Krankheitsverhütung. Eine ganz große Verantwortung gegenüber Aidskranken liegt darin, durch die Verkündigung der Frohbotschaft Jesu zur Prävention beizutragen. Diese Botschaft bedeutet Gesundheit für den Menschen; die pastorale Praxis muss das deutlich machen. Einige wichtige Themen für die Prävention: Erziehung zur Solidarität der ganzen Menschheit und zur Verantwortung, was die gerechte Verteilung der Mittel angeht; Förderung des Prinzips der weltweiten Mitverantwortung gegenüber jedem hier oder anderswo existierenden Menschen; das Bewusstsein von der Würde einer jeden Person und der Wille, sie auch zu respektieren, allein aus der Tatsache heraus, dass zu jeder Gemeinschaft auch Unvollkommenheit gehört; vermehrte Aktionen, die die Entwicklung der Kinder und der Jugendlichen fördern, damit sie in einer affektiv ausgeglichenen Umgebung aufwachsen, die in ihnen Freiheit und Mitverantwortung weckt; Bemühungen um mitmenschliche Beziehungen, die auf gegenseitigem Respekt beruhen, Unterschiede anerkennen, auch im Sinne der Tugend der Keuschheit; schließlich der Einsatz für eine Kirche, die Zeugnis gibt von der Gleichwertigkeit von Männern und Frauen, auch als Vorbild für Kulturen, die diese Dimension nicht leben; und als Beitrag für eine Humanisierung der Sexualität als einer wesentlichen menschlichen Dimension, wo sich die Elemente des Schönen und Guten mit erotischer Leidenschaft, emotionaler Intimität und gegenseitiger Verantwortung in Harmonie verbinden; Erziehung zum Wert der Freiheit als Geschenk, aber auch als ein Wert, den man sich erst erkämpfen muss, um zu verhindern, dass möglicherweise Substanzen eingenommen werden, die dann diese Freiheit wieder nehmen; der Appell, dass es notwendig ist, den Mitmenschen vor Ansteckung zu schützen, indem man seine Würde respektiert und die zwischenmenschlichen Beziehungen als einen ehrlichen Ausdruck der Liebe Gottes zu uns versteht.
3. Der Schlüssel der umfassenden Begleitung. Das Ziel des ganzen pastoralen Bemühens um den Kranken besteht darin, zu einer größeren und tieferen Erfahrung einer Gesundheit im umfassenden Sinn (Johannesevangelium 10,10) beizutragen. Die pastorale Begleitung und die helfende Beziehung sind von großer Bedeutung, um das Leiden von Aidskranken zu lindern, weil dieses Leid durch eine Vielzahl von Faktoren, personale, soziale, strukturelle und gemeinschaftliche Faktoren, verursacht wurde. Eine umfassende Betreuung muss schließlich auch die Rolle der Familie des Kranken berücksichtigen.
4. Der Schlüssel zur emotionalen und geistlichen Unterstützung. Helfen, die Gegenwart zu leben. Den Aidskranken in allen seinen Phasen begleiten, bringt auch die Herausforderung mit sich, die Werte zu leben, die man oft erst in der Zeit der Krankheit entdeckt. Hoffnung aufrechterhalten: Die wichtige symbolische und sakramentale Hilfe bei der seelsorglichen Begleitung von Aidskranken muss zur Hoffnung führen, indem sie die ganze Existenz des Leidenden stützt - ohne die bittere Tatsache des Leidens und des Todes zu verleugnen. Hoffnung wird vom Aidskranken als innere Kraft erlebt, die der Gegenwart Sinn und Intensität gibt, einer verwundeten Gegenwart, aus der sich neue Werte und neue Beziehungen ergeben können, die es möglich machen, das beschädigte und eingeschränkte Leben in Würde auszuhalten.
5. Der Schlüssel der Aufmerksamkeit für zusätzliche Belastungen. Damit das mit einer HIV-Infektion verbundene Leid sich aushalten lässt, erfordert die seelsorgliche Begleitung vor allem dort eine besondere Aufmerksamkeit, wo zusätzliche Faktoren hinzukommen, zum Beispiel Drogenabhängigkeit oder Homosexualität, oder wo es sich um Ordenspersonen handelt oder Priester oder auch um Kinder.
Auf dem Gebiet der Betreuung, der Prävention und der „intellektuellen Caritas“ mögen wir viel leisten. Wir sind uns aber auch bewusst, dass wir eine größere Aufmerksamkeit auf die Beziehungen zwischen Armut und Krankheit lenken und darin immer mehr ein prophetisches Verhalten an den Tag legen müssen. Der Großteil der Kranken ist nicht in der Lage, die bereits existierenden wirksamen Therapien zu erhalten. Die Mahnung des Kamillus, „mehr Herz in die Hände“ zu legen, schließt auch ein, dass wir „mehr Herz in unserem Kopf“ haben müssen, wenn es um die Begleitung von Aidskranken geht.
José Carlos Bermejo (Spanien)
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© Kamillianer 2009 - [Stand: 11.12.2009] zurück