Kamillianer
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Das Kamillianische Charisma
im 20. Jahrhundert

Rückblick auf den Stand des Ordens zu Ende des 19. Jahrhunderts


Das 19. Jahrhundert war für die Entwicklung des kamillianischen Charismas und für die Ausbreitung des Ordens von entscheidender Bedeutung. Mit den napoleonischen Eroberungszügen durch ganz Europa kamen die Ideen der französischen Revolution und in deren Gefolge auch die großen Veränderungen in Gesellschaft und Kirche. Der Orden der Kamillianer war seit seiner Gründung durch Kamillus von Lellis im Jahre 1591 fast ausschließlich in Italien verbreitet. Die Gründungen in Spanien und in den lateinamerikanischen Ländern waren von geringerer Bedeutung und wurden bereits im 18. Jahrhundert durch die romfeindliche Politik der spanischen Könige zwangsweise vom Orden getrennt. So war die Verbreitung des kamillianischen Charismas in seiner Ordensausprägung praktisch auf Italien eingeschränkt. Und dort trafen ihn die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Folge der napoleonischen Kriege und Besetzungen sowie die gesellschaftlichen und kirchlichen Umbrüche im Zuge der Bemühungen um die Einheit Italiens und der Aufhebung des Kirchenstaates. So existierte im Jahre 1807 offiziell nur die römische Provinz des Kamillianerordens mit sechs Häusern, in denen 37 Ordensleute lebten, und drei Häuser im restlichen Italien mit zwölf Mitbrüdern. Ihre Tätigkeit war auf den leiblichen und geistlichen Krankendienst und dabei besonders auf den Sterbendenbeistand in den Privathäusern eingeschränkt. Im Jahre 1827 gibt es wieder drei Provinzen, die sizilianische, die römische und die neapolitanische Provinz mit insgesamt 155 Patres und Brüdern, die in 22 Kommunitäten leben und von dort aus ihren Dienst bei den Kranken in den Spitälern und Privathäusern ausüben. Trotz der schwierigen Umstände in Gesellschaft und Kirche gibt es neue Aufbrüche in der zeitgemäßen Ausprägung des kamillianischen Charismas.


Nach einer langen Anlaufzeit kommt es zur Gründung einer neuen Ordensprovinz in Italien, der lombardo-venetianischen Provinz. Entgegen den Gepflogenheiten in den übrigen Provinzen des Ordens wird in der 1842 gegründeten norditalienischen Provinz, deren erste Niederlassung noch im damaligen Österreich, nämlich in Verona lag, ein erneuertes kamillianisches Leben und eine neue Form des Dienstes bei den Kranken geübt: Rückkehr zu den Quellen jedes christlichen Lebens (Evangelium) und zum Geist des Ursprungs der einzelnen Institute (Ordensdekret des Zweiten Vatikanum, Nr. 2). Es ist gleichsam die Vorausnahme dessen, was in unserem Jahrhundert im Zweiten Vatikanum allen Orden neu aufgetragen wurde. In diesem Sinne waren für das gelebte kamillianische Charisma zwei tragende Elemente entscheidend: das Leben in Gemeinschaft mit allen Konsequenzen für das geistliche Leben, das Leben in vollkommener Armut und im Gehorsam.

Fast gleichzeitig (5. April 1841) wurde in der Toscana eine Gemeinschaft von Frauen durch Maria Brun-Barbantini gegründet, die das kamillianische Charisma in der ursprünglichen Form nach dem Beispiel des hl. Kamillus leben wollten. Heute ist diese Gemeinschaft mit ungefähr 350 Mitschwestern in acht Ländern der Welt tätig.

Mit Dekret des Generalrates der Kamillianer wurde am 12. Februar 1891 eine Gruppe von "Terziarinnen" des Kamillianerordens in Rom durch P. Luigi Tezza, Kamillianer, gegründet, der in einer zeitgemäßen Form die im 17. Jahrhundert in Italien sehr verbreiteten "Kamillianischen Terziarinnen" neu beleben wollte. Schon sehr bald wurde daraus die Gemeinschaft der "Töchter des hl. Kamillus", die sich im Geiste des heiligen Kamillus ganz dem Dienst an den armen Kranken widmete. Die Gemeinschaft zählt heute über 800 Mitglieder und ist in 16 Ländern, verteilt auf die ganze Welt, bei den kranken, alten und behinderten Menschen tätig.

Seit der Abtrennung der spanischen Provinz samt den Gründungen in Lateinamerika vom Orden und von der zentralen Leitung in Rom war die Ausbreitung des Ordens nicht über Italien hinausgekommen. Die Entsendung einer Gruppe von jungen Mitbrüdern der lombardo-venetianischen Provinz nach Ägypten und Zentralafrika endete nach zehnjährigem Einsatz unter schwierigsten Bedingungen mit einem "offiziellen Rückruf" in die Heimat im Jahre 1877. Inzwischen fand aber eine Ausweitung der kamillianischen Tätigkeit in Europa statt.

Am 20. Juni 1870 wurde die erste Niederlassung in Frankreich gegründet. Die Verantwortlichen des Ordens in Rom, die zunehmend aus der norditalienischen Provinz stammten, erhofften sich durch diese Gründung in Frankreich eine Bereicherung für die zeitgemäße Verwirklichung der Ordenscharismas. Und tatsächlich entwickelte sich aus diesem Schritt über die Grenzen Italiens die Ausweitung des Ordens und seines Dienstes bei den Kranken, Alten und Behinderten im Laufe des 20. Jahrhunderts in die ganze Welt.

Unter dem Druck der politischen Verhältnisse in Frankreich wird eine Gründung in Belgien und dann in Holland vorbereitet. Dort wird an der Schwelle zum 20. Jahrhundert in der Stadt Roermond zum kamillianischen Zentrum für "Mitteleuropa", wo in den folgenden Jahren junge Menschen aus Belgien, Frankreich, Holland, Deutschland Österreich und Norditalien unter der Führung eifriger Mitbrüder aus der lombardo-venetianischen Provinz ausgebildet werden und wie "Missionare" das kamillianische Charisma in die mitteleuropäischen Länder tragen.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (bis zum Zweiten Weltkrieg!) werden so von der Deutschen Provinz Niederlassungen und Werke (Seelsorgestellen in öffentlichen Krankenhäusern, Krankenhäuser und Altenheime, Behinderteneineinrichtungen und selbst Pfarreien) gegründet in:

  • Dänemark: Alborg und Fredrikshaven,
  • Oberschlesien (Polen): Tarnowitz (Tarnowskie Góry), Hindenburg (Zabrze),
  • Österreich: Wien, Kloster Hilariberg, Innsbruck,
  • USA: Milwaukee, Bosten, Whitinsville,
  • Mitwirkung in den Gründungen von Peru (Lima), Brasilien (Sao Paulo), Spanien (Madrid).

Nach den schweren Belastungen des Zweiten Weltkriegs erlebt die Ausbreitung des kamillianischen Charismas eine neue Blüte. Die total veränderten politischen Verhältnisse, besonders in Mitteleuropa, führen dazu, daß aus der ehemaligen deutschen Ordensprovinz, die in den dreißiger Jahren bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die an Mitgliederzahl (über 200) größte Provinz des Ordens war, im Jahre 1947 fünf Provinzen entstehen:
  • die deutsche Mutterprovinz mit den Niederlassungen in der Bundesrepublik und in Berlin,
  • die holländische Provinz mit dem Provinzialat in Roermond,
  • die nordamerikanische Provinz mit dem Provinzialat in Milwaukee,
  • die österreichische Provinz mit dem Provinzialat in Wien,
  • die polnische Provinz mit dem Provinzialat in Tarnowitz (Tarnowskie Góry).

Nicht nur in Mitteleuropa vollzogen sich große Veränderungen. Nach Überwindung der seit den Zeiten des hl. Kamillus bestehenden Hemmungen erfolgt der Aufbruch der Kamillianer in die Missionen, in die Dritte Welt. Die Gründung in Brasilien in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts wurde von den Mitbrüdern in Italien noch als eine Art "Heimspiel" verstanden, da man sich von Sao Paulo aus besonders um den Nachwuchs aus dem Süden Brasiliens bemühte, wo die italienischen Auswanderer zu Hause waren. Der Aufbruch nach China im Jahre 1948 war ein Aufbruch in ein echtes Missionsgebiet. Wenngleich schon nach fünf Jahren die Vertreibung durch die Kommunisten Maos geschah, so war die Fortführung der missionarischen Tätigkeit in Thailand und Taiwan bis heute der Durchbruch zum Einpflanzen des kamillianischen Charismas in den Missionsländern. Und es folgten diesem Beispiel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Gründungen in Asien, Australien, Afrika und Lateinamerika bis hin nach Madagaskar.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) ist in der Geschichte der Kirche und der Ordensgemeinschaften ein Wendepunkt. Viele Ansätze der zeitgemäßen Erneuerung, auch in der Verwirklichung des kamillianischen Charismas, fanden im Konzil ihre Bestätigung und Bestärkung:
  • Tätigkeit qualifizierter Mitbrüder der deutschen Provinz in den pastoralen Multiplikatorenstellen des Deutschen Caritasverbandes in Freiburg,
  • Ausbildung von Laien - "Seelsorgehelferinnen" - für den pastoralen Dienst in den Pfarreien und Seelsorgestellen (P. Wilhelm Wiesen),
  • Öffentlichkeitsarbeit durch ein intensives Schriftenapostolat im Bereich des Gesundheitsdienstes (Herausgabe des Wochenblattes "Gruß ans Krankenbett" und der Ordenszeitschrift "Kamillusblatt"). Das Konzil ermunterte auch, über das "Aggiornamento" hinaus auch neue Wege zu gehen, was besonders in der Krankenpastoral und in der Umsetzung des kamillianischen Charismas seinen Niederschlag fand:
  • Engagement der Kamillianer nicht nur im unmittelbaren Pflege- und Seelsorgedienst am Krankenbett, ob im Krankenhaus, in den Privathäusern der Ersten oder der Dritten Welt, sondern auch im Dienste der katholischen Gesundheitseinrichtungen eines Landes durch organisatorische und politische Dienste,
  • Erschließung des kamillianischen Charismas für die Laien durch die Hinführung zum Dienst an den Kranken und Leidenden in den Privatwohnungen und Krankenhäusern und Altenheimen im Geiste des hl. Kamillus und in der Spiritualität des Ordens der Diener der Kranken durch die Gründung der Kamillianischen Familien,
  • Einbeziehung des gesamten Volkes Gottes in die Verkündigung des Reiches Gottes und im missionarischen Dienst der Evangelisierung im Sinne des Auftrages unseres Ordens, wie er im Grundgesetz ausgedrückt ist: "Der Orden der Krankendiener hat von Gott durch seinen Stifter, den hl. Kamillus, die Gnade und den Auftrag erhalten, als lebendige Glieder der Kirche in der Welt Zeugnis dafür zu geben, daß die Liebe Christi zu den Kranken dauernd gegenwärtig bleibt."

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© Kamillianer 2009 - [Stand: 24.02.2009]